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Von der Problemlösung zum Dilemma-Management ‒ Mass und Mitte in der Kommunikation

von Prof. Dr. Christof E. Ehrhart

Freiheit und Gerechtigkeit, Profitabilität und Nachhaltigkeit, Mensch und Maschine ‒ die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformationsprozesse unserer Zeit sind geprägt von fundamentalen Gegensätzen, die nicht völlig aufgelöst werden können. Damit ist auch eine Veränderung unseres Verständnisses von Management als Gestaltungsaufgabe verbunden: War die Management-Schule des 20. Jahrhunderts noch geprägt vom Glauben an systematische Problemlösungen unter Einsatz aller erforderlichen Ressourcen, so erweist sich im 21. Jahrhundert die Kärrnerarbeit des Dilemma-Managements als Standardmethode ‒ auch in der Kommunikation. Jim Carroll, ein Urgestein der britischen Kommunikationsszene, bringt es treffend auf den Punkt: „Nicht auf alle Fragen gibt es richtige oder falsche Antworten. Dilemmata können nicht aufgelöst werden ‒ sie können nur behandelt und behutsam kalibriert werden“.

Wenn es im öffentlichen Diskurs nicht (nur) um Richtig oder Falsch gehen kann und damit meist auch der Schlagabtausch mit Fakten und Argumenten alleine nicht zu einem wertstiftenden Ergebnis führt, gewinnen Fragen der Haltung und Erscheinung von Kommunikation an Bedeutung. Dabei kann eine gelungene Verpackung nie über Defizite im Gedankengang hinwegtäuschen. Für Rednerauftritte wurde hier lange fälschlicherweise auf eine Studie des US-Psychologen Albert Mehrabian aus den 60er Jahren hingewiesen, derzufolge nur sieben Prozent der Wirkung einer Rede auf dem Inhalt basiert, während Tonfall 38 Prozent und Körperhaltung 55 Prozent ausmachten. 2006 hat das Institut Allensbach das Thema neu behandelt und herausgefunden, dass der Redeinhalt immer der entscheidende Faktor ist.

Um Dilemma-Konstellationen kommunikativ bewältigen zu können, ist eine Trias von Erfolgsfaktoren zu beachten, die man unter dem Begriff Kommunikationsästhetik zusammenfassen könnte: Balance, Symmetrie und Eleganz. Dabei geht es nicht um verschönernde Ornamentik, blendende Fassadengestaltung oder die – im allgemeinen Hype um die Newsroom-Optik gelegentlich erkennbare – Zurschaustellung von kommunikativer Kompetenz im Raum.

Wilhelm Röpke (1899‒1966), einer der geistigen Väter der Sozialen Marktwirtschaft, trat für einen ökonomischen Humanismus ein, der die inviduellen Interessen der Marktteilnehmer mit den sozialen Interessen der Gesellschaft in harmonische Balance zu bringen versucht („Mass und Mitte“, 1950). Dieser Balance-Gedanke kann auch kommunikative Strategiebildung leiten, wenn es um die Positionierung etwa eines Unternehmens im Umfeld gesellschaftlicher Debatten geht. Vereinfacht ausgedrückt: im Zeitalter des Dilemma-Managements muss man auch Kritik aushalten können und ihre Wirkung in die eigene Planung per se miteinbeziehen.

Wenn die Konstellationen unübersichtlich werden und die Lage zugleich kontinuierlich in Bewegung ist, wird Komplexitätsreduktion zu einer wesentlichen Aufgabe des Kommunikationsmanagements. Dabei spielt Symmetrie als Orientierungsmassstab gleich in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Rolle: als Denkmuster und als Handlungsorientierung. Ein klarer Gedanke (in stürmischer Lage) sieht auch auf Papier (oder in einer E-Mail bzw. auf PowerPoint) klar aus und schneidet Dilemma-Konstellationen (gleichsam mit einem Goldenen Schnitt der Kommunikation) symmetrisch in Dilemma-Dimensionen – anstatt Lösungsoptionen vorzugaukeln, wo keine sind. Zugleich agiert kluge Kommunikation immer im symmetrischen Verhältnis zur geltenden Lage: Alarmismus, emotionaler Überschwang, Zweckoptimismus oder Bunker-Mentalität sind ihr fremd.

Was den Aspekt der Eleganz angeht, so hat der französische Lyriker und Philosoph Paul Valery (1871‒1945) die richtigen Worte gefunden: „Elegantia ‒ Das bedeutet Freiheit und Ökonomie ins Sichtbare übertragen“. Worum es hier für Kommunikatoren geht, ist die Schlankheit des Gedankenganges, die Treffsicherheit der Aussage, ohne zu viele Worte zu machen. Dabei ist die Kunst, sich nicht nur mit dem zu Wort zu melden, was Hans Castorp in Thomas Manns Zauberberg „tadellose Hergebrachtheiten“ nennt.

Zugegeben: Mit ästhetischer Kommunikation den Anforderungen von Dilemmata gerecht zu werden ist anstrengend ‒ und manchmal auch schmerzhaft. Aber die Alternative wäre fatal. Die Kommunikationswissenschaftlerin Liane Rothenburger hat darauf hingewiesen, dass auch „Terroristen Kommunikationsexperten“ sind. Ihre Antwort auf Dilemmata lautet „Gewalt“.


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Prof. Dr. Christof E. Ehrhart

Prof. Dr. Christof E. Ehrhart

Prof. Dr. Christof Ehrhart verantwortet als Executive Vice President weltweit Unternehmenskommunikation und Regierungsbeziehungen beim Technologie- und Dienstleistungsunternehmen Robert Bosch GmbH.

Zuvor leitete er unter anderem die weltweite Unternehmenskommunikation des Brief- und Logistikkonzerns Deutsche Post DHL Group, des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS (heute Airbus Group) und des Pharma-Unternehmens Schering AG.

Er ist seit 2013 Honorarprofessor für Internationale Unternehmenskommunikation am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig.