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Die neue CSRD-Richtlinie: Ein Mehrwert für die Unternehmensanalyse?

Die neue CSRD-Richtlinie: Ein Mehrwert für die Unternehmensanalyse? 

Die erhöhten Berichtspflichten bei der Nachhaltigkeitsberichtserstattung durch die EU-Richtlinie CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) führen zu erheblichen Mehrarbeiten in Unternehmen. Aber schafft die angekündigte Flut an ESG-Daten für die Analyse und Bewertung börsennotierter Unternehmen einen Mehrwert und wie gross könnte dieser sein? Eine erste Einschätzung aus Sicht eines Finanzanalysten.

von Volker Sack

Oktober 2024


Identifizierung der wichtigsten ESG-Kennzahlen aus der zu erwartenden Datenflut

Aktuelle Schätzungen gehen von mehr als 1.000 möglichen, überwiegend textuellen bzw. qualitativen ESG-Datenpunkten aus, die zukünftig im Rahmen der CSRD erhoben werden könnten. Unabhängig davon, wie der Mindestumfang der zu berichtenden, maschinenlesbaren Datenpunkte abschliessend durch die ESMA definiert werden wird, erscheint es fraglich, ob eine derartige Datenflut für die Unternehmensanalyse nützlich und von Relevanz ist. Aus Analystensicht ist es empfehlenswert, sich auf diejenigen Kennzahlen zu fokussieren, die massgeblich für die Unternehmensstrategie sind. Das bedeutet eine möglichst geringe Anzahl von aussagekräftigen ESG-Daten aus den drei Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Als Aufsatzpunkt sollte eine vom Unternehmen erstellte, übersichtliche ESG-Zielmatrix mit 5-10 wichtigen ESG-Kennzahlen als Bestandteil der Gesamtstrategie dienen, die gemeinsam mit den Finanzzielgrössen veröffentlich wird. Positive Praxisbeispiele, wie u.a. das der DHL Group, liegen bereits vor.

Momentan unterschiedliche Umsetzungsstände der CSRD

Zahlreiche, überwiegend grössere börsennotierte Unternehmen befassen sich schon seit mehr als einer Dekade intensiv mit Nachhaltigkeitsthemen. Mit grösseren IR- bzw. ESG-Teams wurden zum Teil aufwendige Befragungen verschiedener Stakeholder wie Management, Aufsichtsrat, Mitarbeitende und Kunden durchgeführt und als Ergebnis wesentliche ESG-Zielgrössen formuliert. Unternehmen aus dem KMU-Segment befinden sich angesichts geringerer Kapazitäten noch in arbeitsintensiven Prozessen der Formulierung dieser Zielgrössen. Unterschiedliche Umsetzungsstände der CSRD sowie erneute Überarbeitungen bisheriger Zielsysteme erschweren Vergleichbarkeit und Analyse. Dieser Umstand sollte aber temporärer Natur sein, zumal sich KMU an den bisher gesetzten Standards orientieren und im Sinne eines Best-Practice-Ansatzes diesen sukzessive annähern können. 

Sind ESG-Zielsysteme auf Sektorenebene homogen oder doch eher unternehmensspezifisch zu sehen?

Selbst innerhalb vermeintlich homogener Branchen oder Peergroups sind abweichende ESG-Zielsysteme nicht auszuschliessen und eher unternehmensspezifisch vom jeweiligen Geschäftsmodell her zu betrachten. Daher sind nach erster Einschätzung vergleichbare, allgemeingültige Nachhaltigkeits-Zielsysteme für einzelne Branchen zwar wünschenswert, jedoch zunächst eher schwierig zu definieren.  

Welche ESG-Daten sind Cashflow-relevant?

Bestimmte ESG-Daten wirken direkt auf monetäre Grössen wie z. B. Umsatz oder Cashflow von Unternehmen. Aus Analystensicht stellt die ESG-Kennzahl tCO2e (Tonne CO2-Äquivalent) eine zentrale Messgrösse dar, die unmittelbar in eine Cashflow-basierte Unternehmensbewertung einfliessen kann. Basis dafür sollte die Bepreisung über CO2-Zertifikate sein, die zukünftig von steigender Bedeutung sein wird. Insbesondere in emissionsintensiven Industrien spielt diese ESG-Kennzahl zur Reduktion bzw. Vermeidung von CO2-Äquivalenten (tCO2e) eine wesentliche Rolle. Sie wird entweder als absolute Grösse, als prozentuale Angabe in Bezug auf ein Basisjahr und/oder als eine Kennzahl, die sich auf ein (selbst)erstelltes Produkt bezieht, formuliert.

Die altbekannte Diskussion: Wie fliessen qualitative Faktoren in die Unternehmensbewertung ein?

Die übrigen KPIs aus den Bereichen Soziales und Unternehmensführung sind in der Regel schwerer zu quantifizieren oder über Cashflows zu beziffern. Es handelt sich überwiegend um weiche, qualitative Kennzahlen wie z. B. (extern nicht nachvollziehbare) Befragungen zum Mitarbeiterengagement. War es schon in der Vergangenheit schwierig, die Qualität des Managements eines Unternehmens zu messen, so wird die Arbeit von Finanzanalysten durch die Berücksichtigung weiterer Softfacts zusätzliche Komplexität erfahren, ohne dass eine wesentliche Relevanz für die bisherige Unternehmensbewertung vermutet wird. Auch wenn bei ESG-Vorreitern wie der DHL Group die drei Bereiche Umwelt, Soziales und Governance in der Nachhaltigkeits-Bonifikation des Vorstandes mit jeweils einem Drittel gleichgewichtet sind, dürften aus Analystensicht quantifizierbare Umweltfaktoren wie Dekarbonisierungseffekte voraussichtlich eine höhere Bedeutung haben, da sie wesentlich klarer zu ermitteln sind. Qualitative Zielgrössen oder Softfacts könnten in die Risikobetrachtung eines Unternehmens einfliessen und über die SWOT-Analyse und den Diskontierungsfaktor eines DCF-Modells abgebildet werden.

Zielkonflikte zwischen ESG-Zielen und Finanzzielen?

Insbesondere in Krisenzeiten werden Finanzanalysten weiterhin verstärkt auf Finanzkennzahlen schauen und diesen einen höheren Stellenwert bei der Unternehmensbewertung einräumen. Zudem können Zielkonflikte zwischen ESG- und Finanz-Zielkennzahlen entstehen. Ein im Sanierungsfall angekündigter starker Personalabbau oder Werksschliessungen sollten mittelfristig im Erfolgsfall zu verbesserten Finanzkennzahlen führen, während sich Befragungsergebnisse zum Mitarbeiterengagement oder zur Mitarbeiterzufriedenheit zumindest kurzfristig verschlechtern dürften.

Fazit

Auch wenn die finale Festlegung der Datenpunkte aus der CSRD noch aussteht, sollte eine Konzentration auf etwa 10 wesentliche ESG-Faktoren im Gesamtzielsystem eines Unternehmens sowohl für Emittenten als auch Finanzanalysten von höherem Nutzen sein und somit einen Mehrwert für die Unternehmensanalyse bieten. Umfangreichere Datensammlungen erhöhen die Komplexität und suggerieren eher eine Schein-Objektivität. Positive Beispiele für fokussierte Zielsysteme im Sinne eines Best-Practice-Ansatzes gibt es bereits im Markt. Daran können sich auch KMU orientieren, die angesichts geringerer Kapazitäten im Vergleich zu manchen Blue-Chips noch Nachholbedarf bei der Umsetzung der CSRD haben. Aus Analystensicht wird vermutet, dass vor allem Cashflow-wirksame ESG-Kennzahlen wie tCO2e bei energieintensiven Unternehmen in den kommenden Jahren in der Unternehmensbewertung an Bedeutung gewinnen werden, während die Berücksichtigung sogenannter softer Faktoren aus dem Bereichen Soziales und Unternehmensführung unter Risikoaspekten in die SWOT-Analyse und in Diskontierungsfaktoren von Bewertungsmodellen einfliessen könnten. Die Diskussion dazu dürfte nach finaler Festlegung der Datenpunkte durch die ESMA und der Konkretisierung unternehmensspezifischer Zielsysteme zusätzlich an Dynamik gewinnen.


Volker Sack

ist Vorstand und Co-Founder des Ende 2022 gegründeten Researchhauses DAN/AG – Deutsches Analyse Netzwerk AG sowie Leiter der DVFA-Kommission Unternehmensanalyse. Er verfügt über mehr als 25 Jahre Kapitalmarkterfahrung als Unternehmensanalyst (Schwerpunkt: Versicherungen, aber auch Werte wie DHL Group und Sartorius) und leitete mehr als 20 Jahre das Corporate Research (Equities, Credits) der NORD/LB.