← zurück zur kompletten Ausgabe
«Nachhaltigkeit ist für mich eine Lebensaufgabe»
Die Deutsche Bank ist die führende Bank in Deutschland mit starken europäischen Wurzeln und einem globalen Netzwerk. Dabei versteht sie es als ihre Verantwortung, Teil der Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft und Wirtschaft zu sein und will mit ihrer finanziellen Expertise und ihrem Produktangebot den Weg zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise ermöglichen.
Von Walter Thomas Lutz mit Jörg Eigendorf
Herr Eigendorf, Sie wurden 2022 zum Chief Sustainability Officer (CSO) der Deutschen Bank ernannt. Zuvor waren Sie während sechs Jahren Konzernsprecher und Leiter Nachhaltigkeit der Deutschen Bank. Welches sind Ihre Hauptaufgaben und wie sind Sie in die Organisation der Deutschen Bank eingebunden?
Als Chief Sustainability Officer verantworte ich die Umsetzung unserer Sustainability-Strategie und koordiniere sie über alle Geschäftseinheiten, die Infrastruktureinheiten und die Regionen hinweg. Mein Team und ich identifizieren Chancen und Risiken für unsere Transformation als Bank. Und gemeinsam mit den Geschäftsbereichen sowie unserem Risikomanagement arbeiten wir daran, wie wir unsere Kunden hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft am besten unterstützen können. Zudem bin ich im Nachhaltigkeitskomitee der Bank der Stellvertreter unseres CEOs Christian Sewing und leite das Nachhaltigkeits-Steeringkomitee. Das alles vertrete ich auch nach aussen und mache deutlich, was uns wichtig ist und wofür wir stehen. Im Fokus steht für uns die Resilienz unserer Bank angesichts des nichtlinearen Verlaufs des Klimawandels, wie er sich gerade abzeichnet. Das ist mittel – bis langfristig wohl eines der grössten disruptiven Risiken neben geopolitischen Veränderungen und Kriegen, mit denen globale Unternehmen aktuell umgehen müssen. Dabei geht es aber nicht nur um Risiken, sondern auch um Opportunitäten.
Wo sehen Sie die grössten Risiken?
Je länger wir mit dem Wandel warten, desto mehr wird aus der Transformation eine Disruption. Diese wird sich in Umweltkatastrophen, in Dürren und Überschwemmungen manifestieren. Die Folge wird sein, dass die Politik radikaler handeln wird, was zwangsläufig mit harten, abrupten Konsequenzen und hohen Investitionen einhergehen wird. Bereits heute besteht ein beträchtlicher Investitionsbedarf, der grösser wird, je länger Regierungen und Unternehmen die dringend erforderliche Transformation aufschieben.
«Je länger wir mit dem Wandel warten, desto mehr wird aus der Transformation eine Disruption.»
Wie binden Sie Kunden und Partner der Bank in das Sustainable Finance Framework der Deutschen Bank ein?
In diesem Zusammenhang passt Ihr Leitthema für das diesjährige Geschäftsbericht-Symposium gut: «Focus – Simplification – Dialogue». Für einen nachhaltigen Wandel braucht es unbedingt Fokus. Wenn man versucht, alles abzudecken, erreicht man in der Regel nicht viel. Vielmehr helfen ein klarer Fokus, einfache Prozesse und der offene Dialog. Das Perfekte ist dabei der Feind des Guten – gerade im Nachhaltigkeitsmanagement. Dabei vereinfacht es den Dialog wesentlich, wenn die Kunden bereits klare Ziele haben und wissen, wo sie hinwollen. Das ist oft der Fall. Beispielsweise sind viele Familienunternehmen in Deutschland in ihrer eigenen Transformation mindestens so weit wie wir. Sie kennen ihre Wertschöpfungskette und messen zum Beispiel ihren CO2-Fussabdruck so genau wie möglich. Unsere Aufgabe als globale Hausbank ist es, dem Kunden dabei zu helfen, diese Ziele für konkrete Finanzierungen zu nutzen. Im Idealfall untermauern diese Indikatoren die Strategie und erhöhen deren Glaubwürdigkeit. Wir zeigen unseren Kunden auf, worauf sie an den Kapitalmärkten in den nächsten Jahren achten müssen und welche Indikatoren wichtiger werden. So helfen wir ihnen, ihre Transformation zu beschleunigen.
Wer ist Ihr direkter Ansprechpartner in der Deutschen Bank, der CEO oder CFO?
Ich berichte an Christian Sewing, unseren Vorstandsvorsitzenden. Das ist in meiner Rolle sehr wichtig. Nachhaltigkeit sollte nicht von einer Disziplin geprägt sein – es muss Teil der Unternehmensstrategie, des Risikomanagements, der Finanzberichterstattung und von vielem mehr sein. Vieles, was wir umsetzen, muss direkt in die Unternehmenssteuerung einfliessen – wie zum Beispiel das Net-Zero-Management, das inzwischen auch für die Vorstandsvergütung relevant ist. Abgesehen davon stehen wir mit vielen Kolleginnen und Kollegen ständig im Austausch. Fast alles, was wir tun, ist divisionsübergreifend und international.
«Das Perfekte ist im Nachhaltigkeitsmanagement der Feind des Guten.»
Setzen Sie bei der Bewältigung Ihrer Aufgaben auch KI-Tools ein?
Wir sind da noch am Anfang, aber es geht schnell voran. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir unsere Produktivität im Nachhaltigkeitsmanagement mit KI enorm steigern können. Nehmen wir allein die Bewertung von Transitionsplänen unserer Kunden. Das ist hochkomplex, KI kann dabei enorm helfen, eine möglichst grosse Bandbreite an verfügbaren Daten zu nutzen und eine erste Bewertung zu erstellen. Natürlich müssen wir das dann alles überprüfen und verfeinern. Aber gerade die mühsame Arbeit eines ersten Entwurfs werden wir uns bald sparen können. Wenn Sie das System mit dieser riesigen Menge an Daten füttern und die richtigen Fragen stellen, übernimmt KI einen Grossteil der Vorarbeit.
Sie haben erwähnt, dass die Deutsche Bank ihre Kunden bei der Transformation begleitet. Wie schätzen Sie die Situation bei kleineren und mittelständischen Unternehmen ein, die nicht über die Personalressourcen verfügen, die Konzerne haben?
Es wird häufig unterschätzt, was Familienunternehmen und Mittelständler leisten und wie weit diese schon in der Transformation ihrer Wertschöpfungskette sind. Da wurde bereits viel zielgerichtet umgesetzt, auch ohne Regulierung. Wenn wir Beratungsbedarf sehen, geht es oft um die Strukturierung nachhaltiger Finanzierungen wie Green Bonds oder Sustainability Linked Loans. Zentrale Fragen sind hier, welche Indikatoren relevant sind und ob oder wie der CSRD-Bericht bei einer solchen Finanzierung genutzt werden kann. Wenn man einmal die Absolution eines Wirtschaftsprüfers hat, dann fällt es viel leichter, diese Indikatoren für Kapitalmarktinstrumente einzusetzen. Man hat die Arbeit dann sowieso bereits gemacht und muss die Zahlen nicht mehr prüfen lassen. Gleichzeitig beklagen die Unternehmen allerdings die grosse Bürokratie. Die Vielzahl der durch die Regulierung geforderten Indikatoren stellt tatsächlich eine grosse Herausforderung dar. Wichtig wäre auch hier, dass sich der Gesetzgeber auf das Wesentliche konzentriert und nur Daten einfordert, die auch wirklich sinnvoll in der Unternehmenssteuerung eingesetzt werden können. Zum Beispiel die Erreichung unserer CO2-Zielpfade, die wir bei der Deutschen Bank zum Teil der Managementvergütung gemacht haben.
Kann CSRD dabei helfen, Greenwashing zu vermeiden?
Dass immer mehr berichtet werden muss, aber gleichzeitig nichts Falsches oder Ungenaues gesagt werden darf, macht vielen Unternehmen Sorgen. Perfektion steht hier dem Guten im Weg. Die immer grösser werdende Zahl an geforderten Indikatoren erhöht das Risiko von Fehlern und damit einhergehenden Greenwashing-Vorwürfen. Die CSRD ist aber zum Beispiel hilfreich, wenn es um Sustainability Linked Loans und Green Bonds geht, da es hierfür validierte Daten braucht.
«Wir haben es mit einer tiefgreifenden Form von Marktversagen zu tun.»
Was halten Sie von ökonomischen Anreizsystemen anstelle einer Regulierung wie in der EU?
Die Karotte ist meist besser als der Stock. In Europa beschäftigen wir uns oft viel zu sehr mit Details und verlieren dabei das Wesentliche aus den Augen. Die ganze Diskussion um ESG sollte uns da nicht den Blick vernebeln.
Wie sehen Sie als ehemaliger Journalist die Rolle der Medien im Kontext?
Die Geschichte der Transformation muss anders erzählt werden. Greenwashing-Risiken muss man immer im Blick haben. Aber wir müssen mehr Erfolgsgeschichten erzählen. Und wir sollten auch offen darüber sprechen, dass wir es hier mit einer tiefgreifenden Form von Marktversagen zu tun haben. Die wahren Kosten des Wirtschaftens – Umweltzerstörung, Überflutung, Dürren – sind bei weitem nicht ausreichend in den Preisen reflektiert. Hier bedarf es einer mutigen Ordnungspolitik: einfach und zielorientiert. Solche Massnahmen sind unpopulär und verlangen deshalb von allen Akteuren viel Mut. Sowie Medien, die diese Prozesse in der Berichterstattung begleiten – und ja, natürlich auch hinterfragen.
Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie persönlich?
Eine Lebensaufgabe, der ich mich ganz und gar mit Herz und Verstand widmen möchte.
Zur Person: JÖRG EIGENDORF
Jörg Eigendorf ist seit 2022 der Chief Sustainability Officer der Deutschen Bank. In dieser Funktion ist er für die gruppenweite Nachhaltigkeitsstrategie und derer Umsetzung verantwortlich. Bevor er 2016 zur Bank kam, arbeitete er als Journalist für die Medien ZEIT und WELT.