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Die McNamara-Fallacy – Der glaube an die (falschen) Daten
Wir leben in einer datengetriebenen Welt, was nicht messbar ist, ist nichts wert. Aber machen Sie nicht den Fehler des US-amerikanischen Verteidigungsminister Robert S. McNamara, der sich blind auf Kennzahlen verliess und den Krieg seines Lebens verlor.
Von Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler
Würde man heute die Bibel schreiben, müsste der erste Satz nicht lauten: «Im Anfang war das Wort», sondern: «Im Anfang war die Zahl.»
In unserer hochdigitalisierten Welt hat die Zahl das Wort abgelöst. Alles muss erhoben, verglichen, ausgewertet und berechnet werden. Was nicht messbar ist, ist nichts wert. Wir leben in einer Diktatur der Daten. Google Analytics ist das Orakel der Moderne. Und «Key Performance Indicators» sind die Gebote der Gegenwart.
In diesem Zusammenhang möchten wir an den McNamara-Fehlschluss erinnern. Robert S. McNamara war der US-amerikanische Verteidigungsminister von 1961 bis 1968 und gilt als «Architekt» des Vietnamkriegs. Er war es, der modern gesprochen, den Krieg «datadriven» betrachtete, aber dessen übermässiges Vertrauen auf messbare Daten zu strategischen Fehlern führte.
Der nach McNamara benannte Fehlschluss lautet: Eine Entscheidung auf quantitativen Beobachtungen zu fällen und alle qualitativen Faktoren ausser Acht zu lassen.
Die häufigste Begründung für den Fehlschluss: Alle anderen Beobachtungen seien «nicht messbar» und deshalb irrelevant. Im Falle des Vietnamkriegs geschah Folgendes:
McNamara wollte mit Zahlen belegen, dass der Krieg im Sinne der USA verlief. Die Strategie beruhte auf einer einfachen Hypothese: Kriege wurden historisch gewonnen, wenn der Feind grössere Verluste hatte als man selbst. Der wichtigste Datenpunkt war also die Zahl der getöteten Feinde (der sogenannte «Body Count»), die man im Verhältnis zu den eigenen Toten setzte. Je grösser das Verhältnis, desto besser lief der Krieg.
McNamara vertraute also nicht auf Frontberichte, nicht auf militärstrategische oder gar ethische Überlegungen, sondern ausschliesslich auf Zahlen. Das Problem: Wenn man sich nur auf das verlässt, was messbar ist, blendet man Aspekte aus, die genauso wichtig sein können, auch wenn sie sich nicht in Daten erfassen lassen. Und da ist noch mehr: Wer nur Zahlen vertraut, neigt dazu, vor allem solche anzuschauen, die das eigene Vorhaben unterstützen. Konkret erfuhr McNamara zuverlässig nur die Zahl der US-Verluste, die auf Seiten des Vietcongs waren Schätzungen.
Der Sozialwissenschaftler Daniel Yankelovich untersuchte 1972 dieses Verhalten in seinem Paper «Corporate Priorities. A Continuing Study of the New Demands on Business» und übertrug die vier Schritte des McNamara-Fehlschlusses auf unseren Geschäftsalltag:
Schritt: Wir messen das, was leicht zu messen ist.
Bis hierhin ist alles in Ordnung.Schritt: Das, was sich nicht leicht messen lässt, vernachlässigen wir oder geben ihm einen willkürlichen quantitativen Wert.
Das ist der erste Schritt in die falsche Richtung. Weil die tatsächliche Zahl nordvietnamesischer Todesopfer unbekannt war, machten die Amerikaner eine Schätzung, die sie unbewusst in die Höhe schraubten, damit sie dem gewünschten Kriegsverlauf entsprach.
Schritt: Wir reden uns ein, dass das, was nicht leicht zu messen ist, nicht wirklich wichtig ist.
Jetzt ist man auf dem Holzweg.Schritt: Wir behaupten, dass das, was nicht leicht zu messen ist, in Wirklichkeit gar nicht existiert.
Der McNamara-Fehlschluss handelt nun nicht davon, dass es verkehrt wäre, sich auf Zahlen zu berufen. Im Gegenteil: Wir brauchen Messgrössen, um uns zu vergleichen, um Fortschritte und Rückschläge zu erfassen. Aber wer glaubt, dass nur das, was messbar ist, auch relevant ist, liegt falsch.
Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler
Der gebürtige Finne Mikael Krogerus und der Seeländer Roman Tschäppeler sind Absolventen der dänischen Hochschule «The Kaospilots». Seit 2008 schreiben und zeichnen die beiden gemeinsam Kolumnen und Bücher. Ihre Werke wurden in 25 Sprachen übersetzt und verkauften sich weltweit millionenfach.
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