Print Friendly and PDF

Zu grün zum Verkaufen? Warum nachhaltige Produkte oft scheitern – und wie es besser geht

← zurück zur kompletten Ausgabe

Zu grün zum Verkaufen? Warum nachhaltige Produkte oft scheitern – und wie es besser geht

Jahrelang gingen wir davon aus, dass Konsument:innen nachhaltige Produkte begeistert annehmen, bereit sind, dafür mehr zu zahlen, und dass Fakten sie von der Notwendigkeit eines Wandels überzeugen. Doch die Realität zeigt ein anderes Bild: Trotz eines wachsenden Nachhaltigkeitsbewusstseins verharrt der Marktanteil grüner Produkte auf einem niedrigen Niveau.

Von Johanna Gollnhofer


Drei Fehlannahmen in der nachhaltigen Transformation

Die sogenannte «grüne Welle» prägt zwar die öffentliche Debatte und viele Unternehmen übertrumpfen sich mit ambitionierten Nachhaltigkeitsstrategien. Auch Verbraucher:innen äussern in Umfragen immer wieder, dass sie Wert auf umweltfreundliche Produkte legen. Dennoch bleibt der grosse Marktdurchbruch aus. Dies zeigt sich auch in Zahlen: Laut dem deutschen Umweltbundesamt lag der Marktanteil nachhaltiger Produkte zuletzt bei nur 13,9%.


Menschen kommunizieren eine grüne Einstellung, doch nur eine Minderheit setzt sie konsequent in die Tat um.


Ein Grund: Der vielzitierte Attitude-Behavior-Gap. Menschen kommunizieren zwar eine grüne Einstellung, doch nur eine Minderheit setzt sie konsequent in die Tat um. Studien zufolge gehören lediglich 15–20% der Konsument:innen zur Gruppe, die tatsächlich regelmässig nachhaltige Kaufentscheidungen trifft. Die Mehrheit – etwa 60% – zeigt zwar grundsätzlich Interesse an nachhaltigen Optionen, bleibt jedoch in ihrem tatsächlichen Verhalten oft konventionell. Oder eben flexibel, was man auch an der wachsenden Zahl von Flexitarier:innen ablesen kann.

Das Resultat? Viele grüne Angebote verharren in Nischenmärkten, und Unternehmen überdenken ihre Nachhaltigkeitsziele, da die erwartete Nachfrage ausbleibt. Die grosse Transformation bleibt aus. Doch warum eigentlich?

Nach genauer Analyse zeigen sich drei grundlegende Fehlannahmen, die in der nachhaltigen Vermarktung immer wieder getroffen werden – und die es zu korrigieren gilt.

Fehlannahme 1: Menschen lieben den Begriff «Nachhaltigkeit»

Auf den ersten Blick scheint Nachhaltigkeit für viele Konsument:innen ein wichtiges Anliegen zu sein. Doch was Menschen in Umfragen sagen und wie sie tatsächlich handeln, sind oft zwei verschiedene Dinge. Der Attitude-Behavior-Gap zeigt sich hier besonders deutlich: Nachhaltige Produkte landen längst nicht so oft im Warenkorb, wie man annehmen könnte.

Der Grund liegt unter anderem in den Assoziationen, die Menschen mit Nachhaltigkeit verbinden. Während Marketingstrategien oft darauf abzielen, das Thema positiv aufzuladen, zeigen tiefere Analysen ein anderes Bild: Die Begriffe, die Konsument:innen spontan mit «Nachhaltigkeit» verknüpfen, sind Verzicht, Verteuerung, Veränderung, Vernunft und Vertrauensverlust – wenig davon klingt nach Lust auf Konsum.

Noch problematischer ist die Wahrnehmung bestimmter Produktkategorien. Der Begriff «vegan» ruft bei vielen sofort Skepsis hervor, insbesondere in Bezug auf Geschmack. Auch in anderen Bereichen stossen nachhaltige Alternativen auf Vorbehalte:

  • E-Autos? Haben eine geringere Reichweite ale Benziner.

  • Tofu? Schmeckte lange nicht überzeugend.

  • Ökologische Reinigungsmittel? Viele glauben, sie seien weniger wirksam als konventionelle Produkte.

Diese Beispiele zeigen: Die öffentliche Debatte um Nachhaltigkeit wird oft mit Verzicht verknüpft – ein psychologischer Stolperstein, der Kaufentscheidungen massiv beeinflusst.


Fehlannahme 2: Menschen sind bereit, mehr für nachhaltige Produkte zu zahlen

Viele Umfragen suggerieren, dass Konsument:innen für Supermarktprodukte gerne einen Aufpreis zahlen. Auf den ersten Blick klingt das vielversprechend:

  • 70% der Menschen geben an, bis zu 10% mehr zu zahlen.

  • 15% sind bereit, bis zu 30% mehr zu investieren.

  • Weitere 15% sagen, dass sie sogar noch höhere Preisaufschläge akzeptieren würden.

Nimmt man diese Zahlen wörtlich, müsste nachhaltiger Konsum längst zum Massenphänomen geworden sein. Doch in der Realität zeigt sich ein anderes Bild.

Während eine kleine Gruppe von Ökofans tatsächlich bereit ist, für Nachhaltigkeit tiefer in die Tasche zu greifen, ist für die breite Masse der Preis nach wie vor ein entscheidender Faktor. Oft reicht schon ein minimal günstigeres konventionelles Produkt, um das nachhaltige Angebot im Regal liegen zu lassen. Ein klassisches Beispiel ist der Markt für pflanzliche Milchalternativen: Solange Hafermilch teurer ist als Kuhmilch, bleibt sie für viele ein Nischenprodukt.

Fazit: Die Zahlungsbereitschaft für Nachhaltigkeit ist oft nicht so hoch, wie es Umfragen vermuten lassen. Und wenn nachhaltige Produkte keine echten Mehrwerte liefern, sondern lediglich «grüner» sind, fällt die Entscheidung für den Geldbeutel – und gegen die Umwelt.


Fehlannahme 3: Fakten bewegen Menschen zur Veränderung

Klimawandel ist ein faktenbasiertes Problem. Logisch also, dass viele versuchen, mit Zahlen und Daten zu argumentieren: Der CO2-Fussabdruck, das 1,5-Grad- Ziel, der Rückgang der Biodiversität – all das ist wissenschaftlich belegt. Vor dem Hintergrund der steigenden Regulatorik und der Greenwashing-Gefahr werden diese Fakten auch dringend gebraucht. Aber bewegen diese Menschen wirklich dazu, ihr Verhalten zu ändern?

Die Antwort ist ernüchternd: nein. Studien zeigen, dass Menschen Schwierigkeiten haben, abstrakte Zahlen und Langfristfolgen emotional zu verarbeiten. Was stattdessen wirkt? Geschichten und positive Narrative.

Doch genau hier liegt oft das Problem: Die Kommunikation rund um Nachhaltigkeit ist häufig negativ und alarmistisch. Bilder von brennenden Wäldern, schmelzenden Polkappen und sterbenden Eisbären dominieren die Debatte. Und die politische Botschaft lautet häufig: Verzicht.

Doch wer verändert schon gerne sein Verhalten, wenn das einzige Versprechen lautet, dass es mit weniger Spass, Komfort oder Genuss verbunden sein wird? Statt Menschen durch Schreckensszenarien in eine Schockstarre zu versetzen, sollten Unternehmen auf inspirierende Erfolgsgeschichten setzen – positive Beispiele, die zeigen, dass nachhaltiger Konsum nicht nur notwendig, sondern auch attraktiv ist.


Wie geht es weiter?

Die gute Nachricht: Technologisch und wirtschaftlich ist die grüne Transformation längst möglich. Doch um sie wirklich voranzutreiben, müssen wir aufhören, Konsument:innen für irrationale Kaufentscheidungen zu kritisieren, und stattdessen bessere Strategien entwickeln.

  • Weg von Verzichtsnarrativen: Nachhaltigkeit muss mit positiven Erlebnissen verbunden werden – Genuss, Komfort und Status dürfen nicht zu kurz kommen.

  • Mehr Fokus auf Preis und Leistung: Nachhaltige Produkte müssen nicht nur umweltfreundlich, sondern auch konkurrenzfähig sein.

  • Emotionen statt trockener Fakten: Geschichten, Vorbilder und Alltagserfahrungen motivieren Menschen mehr als abstrakte Zahlen.

Kurz gesagt: Die grüne Transformation wird nicht gelingen, indem wir nur über Nachhaltigkeit sprechen – sie muss so attraktiv gestaltet werden, dass sie zur selbstverständlichen Wahl wird.


Artikel als PDF downloaden


Buchtipp “Das 60% Potenzial – Mit Marketing die breite Masse für grünen Konsum begeistern”

Wir müssen nachhaltige Angebote endlich in den Mainstream bekommen! Wie dies geht, beleuchten Johanna Gollnhofer und Jan Pechman in ihrem neusten Buch: Das 60% Potenzial – Mit Marketing die breite Masse für grünen Konsum begeistern. Monatliche Updates zu dem Thema Green Marketing gibt es von Prof. Dr. Johanna Gollnhofer in ihrem monatlichen LinkedIn Newsletter.


Prof. Dr. Johanna Gollnhofer

ist assoziierte Professorin für Marketing und geschäftsführende Direktorin des Instituts für Marketing und Customer Insight an der Universität St. Gallen. Sie forscht, hält Vorträge und berät Unternehmen zu Fragen im Bereich des kundenzentrierten Marketing und zu Trends wie Nachhaltigkeit. Sie ist Autorin des Buches: Das 60% Potenzial – Mit Marketing für grünen Konsum begeistern (erschienen im Campus Verlag).