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Sell-Side erhöht Anforderungen an Nachhaltigkeitsberichte

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Sell-Side erhöht Anforderungen an Nachhaltigkeitsberichte

Als eines der führenden Sell-Side-Researchteams der Schweiz beurteilt die Zürcher Kantonalbank auch die Nachhaltigkeit von 140 kotierten Aktiengesellschaften. Unser ESG-Ansatz berücksichtigt quantitative und qualitative ESG-Faktoren. Dabei werden neben der aktuellen Situation auch ergriffene Massnahmen beurteilt. Doch welche Informationen benötigen Sell-Side-Analysten, um mit Nachhaltigkeitsberichten effizient arbeiten zu können?

Von Gian Marco Werro

In der Berichterstattung helfen Standards wie die Global Reporting Initiative (GRI) dabei, Transparenz und Vergleichbarkeit zu schaffen und Informationen zu relevanten Branchenthemen schnell und übersichtlich auffindbar zu machen. Das Konzept der «double materiality» in Abstimmung mit den Stakeholdern stellt eine nützliche Orientierungshilfe dar. Dabei ist wichtig, dass sich die Berichterstattung dann auch auf die festgelegten Themenschwerpunkte konzentriert und diese konsequent mit KPIs und messbaren Entwicklungen adressiert. Eine ESG-Berichterstattung, die in Übereinstimmung mit den GRI-Standards steht – anstatt nur unter Bezugnahme auf GRI –, sowie die Auditierung dieser Berichterstattung gewinnen für uns stark an Relevanz. Hierbei berücksichtigen wir die begrenzten Ressourcen vieler Small und Mid Caps. Bedeutend ist für uns, dass auch diese Unternehmen den Handlungsbedarf erkennen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Initiativen ergreifen und an einer aussagekräftigen ESG-Berichterstattung arbeiten.

Im Umweltbereich räumen wir der Reduktion der Treibhausgase und damit der gewichtigsten Komponente CO2 einen hohen Stellenwert ein – dies neben einer Vielzahl von weiteren Themen wie Biodiversität, erneuerbare Energien, Umweltverschmutzung, Ressourcennutzung und Recycling. In die ESG-Analyse fliessen sowohl die absoluten Emissionen als auch die Emissionsintensität der Branchen ein, in denen die Unternehmen tätig sind. Relevant für uns sind die bestehenden Emissionen, ebenso wie die Entwicklung der Emissionen mit Massnahmen zur Vermeidung, Verminderung oder Kompensation sowie die Ziele zur Erreichung von Netto-Null. Wir begrüssen eine Berichterstattung für Scope-3-Emissionen. Doch aufgrund der komplexen Erfassung räumen wir bei Scope 3 signifikanten Massnahmen einen höheren Stellenwert gegenüber einer umfangreichen Berichterstattung ein. Aussagekräftiger sind für uns konkrete Ziele und Verbesserungen im Bereich der Scope-1- und -2-Emissionen. Hierbei legen wir Wert auf zwei Hauptfaktoren: die Glaubwürdigkeit der Roadmap, die ein Unternehmen auf dem Weg zu Netto-Null erstellt (z.B. mit SBTi), und die Fortschritte auf dem Weg dorthin. Emissionskompensation stellt eine Lösung dar, jedoch priorisieren wir die Vermeidung und die Reduktion von Emissionen. Bei freiwilliger Emissionskompensation ist aus unserer Sicht hinsichtlich Zertifikatsqualität Vorsicht geboten. So ist etwa der freiwillige Zertifikatemarkt unreguliert, die Verwendung der Mittel teilweise undurchsichtig, Kompensations-berechnungen sind umstritten, und die Projektdurchführung in fernen Ländern wird selten von Zertifikatsanbietern kontrolliert. Unternehmen sollten daher die angebotenen Lösungen kritisch prüfen.

Auch im sozialen Bereich sind greifbare, faktenbasierte Veränderungen von KPIs wesentliche Bestandteile der ESG-Analyse. Dabei bilden zum Beispiel Angaben zur Personalfluktuation, Net Promoter Scores, Mitarbeiterbefragungen sowie das soziale Engagement eines Unternehmens wesentliche Bestandteile unserer ESG-Analyse. Die Art und Weise, wie ein Unternehmen mit negativen Entwicklungen umgeht – ob es sie überhaupt anspricht, erklärt und schliesslich aktiv angeht –, gibt oft aufschlussreiche Einblicke in die Unternehmensführung.

Im facettenreichen Bereich der Corporate Governance gibt es verschiedene relevante Aspekte, die Unternehmen beeinflussen können. So etwa die Nachvollziehbarkeit der Vergütungsstruktur und der Entscheidungen über die endgültige Vergütung der Unternehmensführung, eine sinnvolle Diversität, die über die reine Genderdiskussion hinausgeht, und zudem ein nachhaltiges Wirtschaften im Interesse sämtlicher Stakeholder inklusive der Aktionäre. Viele Mitglieder des Managements werden für ihre Erfolge und Misserfolge in Bezug auf die CO2-Emissionen 2030 (eine Reduktion um 50% gegenüber 1990) und 2050 (Netto-Null) nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden, da sie dann nicht mehr im Unternehmen tätig sein werden. Umso bedeutungsvoller ist es, die kurz- und langfristige Vergütung des Managements auch an die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen zu knüpfen.

Schliesslich sollte bei der herausfordernden und aufwändigen ESG-Berichterstattung der eigentliche Sinn und Zweck nicht in Vergessenheit geraten. Unternehmen müssen sich von der ESG-Vision hin zur ESG-Mission und -Strategie bewegen. Dazu braucht es vor allem im ökologischen und sozialen Bereich konkrete und messbare Massnahmen. Auch in Bereichen wie der Supply Chain, in denen Einblicke und Offenlegungen verständlicherweise ungern gewährt werden, sollten Unternehmen zumindest Aussagen darüber machen können, wie sie ihre Verantwortung wahrnehmen. Die Verantwortung der Unternehmen geht viel weiter als die Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts oder die Emissionsreduktion primär durch Kompensationszertifikate. Vielmehr sollten sie sich aktiv und glaubwürdig für den dringend notwendigen Klimaschutz einsetzen. Der Umgang mit Berichterstattung und Kommunikation sowie die geforderten aktiven Massnahmen sollten nicht als Hürdenlauf verstanden werden, sondern bieten Unternehmen auch zahlreiche Chancen, sich bei allen Stakeholdern positiv von Wettbewerbern abzuheben.

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Gian Marco Werro

ist seit knapp sieben Jahren als Sell-Side Equity Research Analyst tätig. Er fokussiert sich auf Unternehmen im Bereich Konsumgüter und Spezialretail und hat bei der Zürcher Kantonalbank wesentlich zur Entwicklung der fundamentalen ESG-Unternehmensanalyse und Ratinggebung beigetragen.