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Reporting als Steuerungsinstrument – wie konnte es so ‚weit‘ kommen?

Das Ziel, einen klimaneutralen europäischen Wirtschaftsraum zu schaffen, hat die Finanzberichterstattung in den vergangenen Jahren in einer Vehemenz mobilisiert, wie es noch vor wenigen Jahren undenkbar war. Zwanzig Jahre liegen zwischen dem Ansatz, über vermeintlich nichtfinanzielle Leistungsindikatoren auf weitgehend freiwilliger Basis zu informieren, und den verbindlichen, ebenso umfangreichen wie herausfordernden Berichtspflichten im Kontext der CSRD. Und mehr noch: obgleich die nunmehr in Kraft getretenen Regelungen keine konkreten Handlungspflichten gesetzlich vorschreiben, drängt sich der Eindruck auf, dass die europäische Kommission Berichtspflichten als nachhaltigkeitsorientierte Steuerungsmöglichkeit instrumentalisiert. 

von Prof. Dr. Tatjana Oberdörster 

Bereits seit knapp 40 Jahren gibt es in Deutschland keinen Geschäftsbericht mehr – zumindest im juristischen Sinne. Die Inhalte des letztmalig 1965 im Aktienrecht kodifizierten Geschäftsberichts wurden im Zuge der Durchführung der EG-Richtlinien zur Vereinheitlichung der Rechnungslegung in Europa weitgehend übernommen und vor allem auf den (Konzern-)Lagebericht verteilt. Sowohl die Inhalte als auch die Übermittlungsform des Praxisphänomens Geschäftsbericht werden heute – nicht nur in Deutschland – ausschliesslich durch die Funktionen bestimmt, die dem Geschäftsbericht in der Praxis zukommen. 

Der (konsolidierte) Lagebericht ist formal kein Element des Jahresabschlusses sondern rechtlich wie funktional eigenständig. Aufgabe des Lageberichts ist es, die Jahresabschlussinformationen zu verdichten sowie den Jahresabschluss zeitlich und sachlich zu ergänzen. Als bedeutendes Element der Finanzberichterstattung soll der Lagebericht ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild des Geschäftsverlaufs und des Geschäftsergebnisses vermitteln. Dem Lagebericht wird eine Rechenschaftsfunktion ebenso wie eine Informationsfunktion zugewiesen, indem den Adressaten entscheidungsrelevante und verlässliche Informationen vermittelt werden.  

 

Nachdem die Europäische Kommission im Jahr 2001 die Empfehlung zur Berücksichtigung von Umweltaspekten im Jahresabschluss und Lagebericht von Unternehmen vorgelegt hat, wurde mit der EU-Modernisierungsrichtline (2003) das gesellschaftliche Leitbild Nachhaltigkeit gesetzlich normiert an die Infrastruktur der Finanzmärkte angeschlossen. Im Lagebericht soll eine Analyse nichtfinanzieller Leistungsindikatoren erfolgen, soweit dies für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses oder der Lage des Unternehmens erforderlich ist. Die Berichterstattung über (vermeintlich) nichtfinanzielle Leistungsindikatoren umfasst dabei auch und vor allem Nachhaltigkeitsinformationen. Explizit genannt werden Umwelt- und Arbeitnehmerbelange.  

Paradigmenwechsel

Mit dem Ziel, die Konsistenz und Vergleichbarkeit offengelegter nichtfinanzieller Informationen unionsweit zu erhöhen und insbesondere die Transparenz der Sozial- und Umweltberichterstattung der Unternehmen auf ein vergleichbar hohes Niveau anzuheben, wurde 2014 schliesslich die CSR-Richtlinie verabschiedet. Diese erweitert die Publizitätspflichten der betroffenen Unternehmen um die „nichtfinanzielle Erklärung“, die Informationen über die Auswirkungen der unternehmerischen Tätigkeit auf die Gesellschaft umfasst und die sich – mindestens – auf Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, auf die Achtung der Menschenrechte und auf die Bekämpfung von Korruption und Bestechung beziehen. Die berichterstattenden Unternehmen können sich dabei auf nationale, unionsbasierte oder internationale Rahmenwerke stützen. Die nichtfinanziellen Angaben sind grundsätzlich in den Lagebericht aufzunehmen. Gleichwohl eröffnet die Richtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Unternehmen unter bestimmten Bedingungen von der Berichtspflicht im Lagebericht zu befreien.  

 

Weiterhin grosse Mängel

Bereits wenige Jahre nach Veröffentlichung der CSR-Richtlinie stellt der europäische Gesetzgeber diese Herangehensweise zur Diskussion. Eine von der Kommission im März 2018 initiierte Eignungsprüfung (“Fitness check on public reporting by companies”) offenbarte im Kontext der nichtfinanziellen Berichterstattung nicht erfüllte, aber auch neue Informationsbedürfnisse. Die Rückmeldungen von Stakeholdern und ausgewerteten Studien weisen darauf hin, dass zahlreiche Unternehmen wesentliche nichtfinanzielle Informationen teilweise nicht offenlegen und Informationen zu wesentlichen Risiken ebenfalls nicht ausreichend angegeben werden. Leistungsindikatoren würden zudem nicht konsequent mit den Zielen oder Ergebnissen des Unternehmens verknüpft, was ihre Relevanz für Analysten und andere Stakeholder verringert. Es bestehe ein Ungleichgewicht zwischen der Berichterstattung über negative und positive Auswirkungen, mit einer Tendenz, die positiven Auswirkungen zu betonen und über tatsächliche oder potenzielle negative Auswirkungen nicht ausreichend zu berichten. Insgesamt liessen die nichtfinanziellen Erklärungen vieler Unternehmen erhebliche Mengen an für die Adressaten relevanten Informationen weg, und zwar sowohl Informationen über die Auswirkungen des Unternehmens auf Nachhaltigkeitsbelange (Inside-Out) als auch über die Auswirkungen der Nachhaltigkeitsangelegenheiten auf das Unternehmen (Outside-In). 

 

Ebenfalls im März 2018 legte die Kommission in der Mitteilung ‚Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums‘ zehn Massnahmen dar, mit denen Kapitalflüsse auf nachhaltige Investitionen umgelenkt werden sollen. Ohne ein politisches Handeln wachse die Kluft zwischen dem Informationsbedarf der Nutzer und den von Unternehmen bereitgestellten Nachhaltigkeitsinformationen. Diese Kluft hat vor allem im Kontext von Anlageentscheidungen, bei denen Nachhaltigkeitsrisiken nicht hinreichend berücksichtigt werden, erhebliche negative Auswirkungen. Die im Januar 2023 in Kraft getretene Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) dient – so die Annahme – der Offenlegung relevanter, vergleichbarer und zuverlässiger Nachhaltigkeitsinformationen als Grundvoraussetzung zur Erreichung der Ziele des Aktionsplans.  

Wesentliche Ausweitung und (vermeintliche) Vereinheitlichung

Neben einer Erweiterung des Anwenderkreises stellt die CSRD klar, dass künftig sowohl über die Auswirkungen der Tätigkeiten des Unternehmens auf Mensch und Umwelt als auch über die Auswirkungen der Nachhaltigkeitsaspekte auf das Unternehmen zu berichten ist (Konzept der doppelten Wesentlichkeit). Jeder Wesentlichkeitsaspekt muss mithin eigenständig betrachtet werden: sowohl Informationen, die nach beiden Aspekten wesentlich sind, als auch Informationen, die nach nur einem Aspekt wesentlich sind, sind offenzulegen. Um sicherzustellen, dass die offengelegten Informationen vergleichbar sind und zudem alle relevanten Informationen offengelegt werden, sieht die Richtlinie gemeinsame Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung vor. Die Standards sollen zum europäischen Gemeinwohl beitragen und sowohl den Bedürfnissen der Unternehmen entsprechen als auch die Offenlegung sämtlicher von den Nutzern dieser Informationen für relevant erachteten Informationen gewährleisten. Es kommt damit zu einer tiefgreifenden Ausweitung der inhaltlichen Vorgaben an den – künftig im Lagebericht zu veröffentlichenden – Nachhaltigkeitsbericht. Zu berichten ist künftig u.a. über die Widerstandsfähigkeit des Geschäftsmodells und der Unternehmensstrategie gegenüber Risiken im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsaspekten, über Durchführungsmassnahmen samt Finanz- und Investitionsplänen, mit denen die Vereinbarkeit des Geschäftsmodells und der Geschäftsstrategie mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und den Zielen der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C sichergestellt werden soll sowie über zeitgebundene Nachhaltigkeitsziele.  

 

Ursache und Wirkung?

Dem Normtext der CSRD entsprechend handelt es sich nicht um Handlungspflichten, sondern um Berichtspflichten. Gleichwohl findet hier eine ‚Zweckverschiebung‘ statt. Berichtspflichten werden betroffene Unternehmen dazu veranlassen, auch ohne rechtsverbindlich vorgegebene Handlungspflicht bestimmte Handlungen vorzunehmen, da andernfalls, bspw. verursacht durch Reputationsschäden, negative Reaktionen der Berichtsadressaten zu erwarten sind. Vor diesem Hintergrund strahlen die Berichtspflichten erheblich auf die Organisation und die Führungsprozesse der berichtspflichtigen Unternehmen aus. Aus der ‚einfachen’ Berichtspflicht wird damit u.U. ein faktischer Steuerungsmechanismus. Hier drängt sich der Eindruck auf, dass Finanzberichterstattung zum Zwecke der Verwirklichung von Gemeinwohlzielen als Instrument zweckentfremdet oder – positiv formuliert – in eine Richtung weiterentwickelt wird, die mindestens überraschend ist. Die stärkere, verbindliche Integration von Nachhaltigkeitsinformationen in die Finanzberichterstattung sollte in der Vergangenheit nie Selbstzweck sein; sie ergab dort Sinn, wo die Steuerung im Unternehmen diese Integration auch vollzogen hatte. Diese Integration zu fordern, übernimmt nun die Berichterstattung – Ursache und Wirkung werden damit vertauscht. Ob dieser Weg einen ‚nachhaltigen‘ Beitrag zum Wandel von einem »Nachhaltigkeitsmanagement« zu einem »nachhaltigen Management« in europäischen Unternehmen leisten wird, bleibt abzuwarten.  


Prof. Dr. Tatjana Oberdörster

ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Rechnungswesen sowie Vizepräsidentin für Studium und Lehre an der Westfälischen Hochschule. Als langjährige Projektleiterin des Wettbewerbs „Der beste Geschäftsbericht“ verfügt Frau Oberdörster über profunde Erfahrung in der Bewertung der inhaltlichen Aussagekraft von Finanzberichten mit Fokus auf den Bereich der Berichterstattung im (Konzern-)Lagebericht. Als ausgewiesene Expertin für Finanzberichterstattung ist Frau Oberdörster seit über 15 Jahren Referentin sowohl auf etablierten Fachkonferenzen zum Themengebiet Berichterstattung als auch auf Seminaren zur Weiterentwicklung der unternehmensspezifischen Berichterstattung.