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Toolkit für Wesentlichkeitsanalyse

Vor wenigen Tagen hat Novartis in Zusammenarbeit mit dem F.A.Z.-Institut und dem Center for Corporate Reporting (CCR) eine neue Website veröffentlicht. Diese zeigt auf, wie unternehmensspezifische Themen für ein umfassendes Nachhaltigkeitsmanagement ermittelt werden können. Das Zentrum der Website ist ein von Novartis auf Basis interner Dokumente erstellter Leitfaden, der Schritt für Schritt eine Anleitung für eine Wesentlichkeitsanalyse, im Englischen Materiality Assessment (MA), vorstellt.

Von Denise Weger und Steffen Rufenach

Der von Novartis entwickelte Ansatz stützt sich auf den Dialog mit den Anspruchsgruppen eines Unternehmens und wurde mehrfach ausgezeichnet. Positives Feedback hat der Ansatz von Investoren, aber auch Standardsettern, wie zum Beispiel der Global Reporting Initiative (GRI), erhalten.

Mit der Veröffentlichung des MA-Toolkits folgt Novartis dem Open-Source-Ansatz, der zum Ziel hat, anderen Unternehmen und Institutionen die Möglichkeit zu geben, von den über Jahre hinweg im Unternehmen gesammelten Erfahrungen zu profitieren. Gleichzeitig möchte Novartis in einen Erfahrungsaustausch mit Unternehmen und Institutionen verschiedener Grössen und Branchen darüber treten, wie mit datenbasierten Ansätzen Nachhaltigkeitsaspekte wesentlicher Geschäftsthemen evaluiert und in die Geschäftsstrategie eingebunden werden können.


Warum Wesentlichkeitsanalysen?

Seit vielen Jahren gehören Wesentlichkeitsanalysen zum Standard-Repertoire jeder Nachhaltigkeitsabteilung. Mit ihrer Hilfe bestimmen Unternehmen die Nachhaltigkeitsaspekte wichtiger Unternehmensthemen – im Fachjargon oft auch als „nicht (direkt) finanzielle“ Themen bezeichnet, wie beispielsweise der Datenschutz im Datenmanagement. Durch eine Wesentlichkeitsanalyse ermittelt ein Unternehmen zusammen mit seinen Anspruchsgruppen die wichtigsten Nachhaltigkeitsaspekte. Wesentlich bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Aktivitäten eines Unternehmens im Kontext dieser Themen einen signifikanten Einfluss auf Entscheidungen ihrer Anspruchsgruppen haben. Die Wesentlichkeitsanalyse verfolgt damit das Ziel, die Geschäftsstrategie sowie die Kommunikation darüber in Einklang mit gesellschaftlichen Erwartungen zu bringen, um somit den langfristigen Erfolg des Unternehmens zu sichern.

Schaut man sich Wesentlichkeitsanalysen verschiedener Unternehmen an, findet man oft nur schwer vergleichbare Ansätze. Die Analysen unterscheiden sich vielfach im Wesentlichkeitsverständnis selbst, dem Fokus der anvisierten Anspruchsgruppen sowie in der gewählten Evaluationsmethode. Darüber hinaus schenken Strategieabteilungen diesen Analysen oft nur geringe Beachtung, somit werden deren Resultate meist nicht systematisch in Entscheidungsprozesse miteinbezogen. Das lässt sich unter anderem auch daran ablesen, dass die als wesentlich identifizierten Themen häufig nur inkonsistent in den Risikoberichten der Unternehmen auftauchen. Das legt den Schluss nahe, dass die Relevanz vieler Nachhaltigkeitsthemen zwar gesehen wird, jedoch keine signifikant negativen Auswirkungen antizipiert werden, wenn die Themen nicht systematisch gemanagt werden.

Woran liegt das? Eine mögliche Antwort liegt in der Tatsache, dass es keinen international anerkannten Standard für Wesentlichkeitsanalysen gibt. Verschiedene Rahmenwerke der Nachhaltigkeitsberichterstattung setzten zwar diese Analysen in den Hauptfokus ihrer Berichterstattungs-Guidelines, gehen aber selten auf die praktische Evaluationsmethode ein. Dies gilt auch für die EU-Richtlinie 2014/95/EU (Non-Financial Reporting Directive). Darüber hinaus unterscheidet sich die Definition von „Wesentlichkeit“ aller Rahmenwerke relativ stark. Entsprechend liegt es an den umsetzenden Unternehmen, die Übertragungsleistung in die Praxis zu erbringen. Damit sind auch die unterschiedlichen Analyseansätze zu erklären, die nicht selten für die Berichterstattung von Nachhaltigkeitsthemen konzipiert wurden, jedoch weniger für deren Management. Dies wiederum könnte erklären, wieso Wesentlichkeitsanalysen noch keinen Einzug in die Strategieabteilungen gefunden haben. Der evaluierte Informationsgehalt war bisher wahrscheinlich noch zu begrenzt und auch nicht wirklich zukunftsorientiert.


Dialog mit Anspruchsgruppen

Die ermittelten Themen scheinen häufig so offensichtlich zu sein, dass es keines grösseren Projekts bedarf, um sie zu bestimmen. Aus diesem Grund setzen viele Unternehmen nur auf interne Evaluationen und auch verstärkt auf automatisierte Analysetools, die die Relevanz von Themen über Big-Data-Analysen aus Onlinequellen ablesen, ohne Anspruchsgruppen direkt zu befragen. Diese vermeintlich effizientere, aber vor allem kostengünstigere Analysemethode vernachlässigt jedoch eine Fülle von Informationen, die aus dem direkten Dialog mit Anspruchsgruppen gewonnen werden können. Wird der Dialog. Durch Des Research ersetzt, verringert sich der Erkenntniswert und somit die Relevanz der Analyseergebnisse für die Strategieentwicklung eines Unternehmens weiter.

Novartis führt seit 2006 regelmässige Wesentlichkeitsanalysen durch und hat seinen Ansatz kontinuierlich weiterentwickelt. Wesentlichkeitsanalysen sind für den Strategieprozess unerlässlich, insbesondere dann, wenn sie auf Basis eines systematischen Dialogs mit Anspruchsgruppen erfolgen. Hierbei sollte über die Frage, welche Themen wesentlich sind, hinausgegangen und auch betrachtet werden:

  • warum die Themen als wesentlich angesehen werden,

  • wie externe Anspruchsgruppen ihre Aktivitäten danach ausrichten und

  • wie sich die wesentlichen Themen in Zukunft entwickeln werden.

Daten, die im Rahmen einer so gestalteten Wesentlichkeitsanalyse gesammelt werden, ermöglichen eine auf die verschiedenen Anspruchsgruppen heruntergebrochene holistische Betrachtung von Risiken und Chancen, die für die Strategieentwicklung unerlässlich ist.


Mit begrenzten Ressourcen möglich

Auf Basis des MA-Toolkits führt Novartis seit Kurzem Materialitätsanalysen auf Länderebene durch. Ziel ist es, die über die globale Wesentlichkeitsanalyse identifizierten Themen im lokalen Kontext zu interpretieren und den systematischen Dialog mit relevanten Anspruchsgruppen auch auf Länderebene durchzuführen. Die im MA-Toolkit vorgestellten Schritte unterstützen die Ländergesellschaften dabei, auf effizientem Weg und mit begrenzten Ressourcen zu relevanten Ergebnissen und umsetzbaren Schlussfolgerungen zu kommen. Das MA-Toolkit wurde bislang in drei Ländern eingesetzt. In den kommenden zwölf Monaten wird sich diese Zahl mehr als verdoppelt haben. Dabei zeigt sich, dass je nach Ressourcenlage und Anspruchsgruppen unterschiedliche Dialogformate genutzt werden – von Roundtables, über Workshops bis hin zu Interviews. Das fördert die Zuversicht, dass das MA Toolkit auch für andere Unternehmen beziehungsweise Institutionen unabhängig von ihrer Grösse nützlich ist.

Unter www.faz-institut.de/materiality finden interessierte Unternehmen und Institutionen eine Einführung in das Thema sowie Links zu aktuellen Webinaren, die Novartis im Kontext ihrer Wesentlichkeits- und Impact-Analysen in den vergangenen Monaten durchgeführt hat. Die Autoren dieses Beitrags freuen sich auf reges Feedback und den Dialog.

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Denise Weger

ist Corporate Responsibility Manager, Strategic Initiatives, bei Novartis in Basel.

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Steffen Rufenach

ist Geschäftsführer der auf Nachhaltigkeitsstrategie und Communications-Controlling spezialisierten Unternehmensberatung R.A.T.E. GmbH.


Die deutsche Fassung dieses Artikels ist ursprünglich im Magazin «Verantwortung» 1/2020 des F.A.Z.-Instituts erschienen. Für Fragen: verlag@verantwortung-initiative.de